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Über die Zuverlässigkeit
des visuellen Merkvermögens

von
Dr. Immanuel Velikovsky

Es ist nachgeprüft und bewiesen, dass Zeugenaussagen, sogar bei absoluter Ehrlichkeit des Aussagenden, ungenau sind.

In vorliegender Arbeit soll veranschaulicht werden, dass das Mass der Ungenauigkeit bei Zeugenaussagen, die mit Mitteilungen über Eindrücke des visuell Wahrgenommenen verbunden sind, oft die Grenze dessen überschreitet, was bis jetzt mittels Experimenten bewiesen wurde. Die Ungenauigkeit von Zeugenaussagen ist z.B. aus einem solchen Experiment, das mehrfach wiederholt wurde, bekannt:

Irgendain Zwischenfall eriegnet sich, meist plötzlich, im Auditorium, z.B. ein bewaffneter (organisierter) Uberfall. Unmittelbar danach notieren die Zuhörer die Wahrnehmungen, die sie eben hatten.

Dieses Experiment zeigt, wie verschieden die Zuhörer, im Ganzen und un den Einzelheiten, ein und dasselbe Ereignis warnehmaen.

Anders und noch einfacher gaht unser Test vor sich: Dieser Test, mit dessen Hilfe wir zum Resultat der Unzuverlässigkeit bewusster Beobachtungen gekommen sind, besteht darin, dass der Prüfling bei geschlossenen Augen auf Grund seines Sehgedächtnisses eine Beschreibung des Raumes zu geben gat, den er öfters betritt oder den er ständig bewohnte.

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Meistens denken die Personen, die Zeugen irgendeindes Ereignisses sind, bei seiner Wahrnehmung nicht daran, dass sie später als Zeugen werden auftreten müssen; ihre Gedanken sind auf andere Dinge gerichtet, z.B., wie sie sich und andere aus der Gefahr retten können.

Von Beobachtungen, die im Ruhezustande gemacht und mehrfach in verschiedener Beleuchtung wiedergolt wurden, dürfen wir grössere Genauigkeit erwarten, als von spontanen Beobachtungen, die manchmal im Zustande der Gefahr und bei nicht genügender Beleuchtung ausgeführt werden und im Leben, nicht wie im genannten Experiment der Signale, den Menschen unvorbereitet antreffen.

Selbst wenn wir zugeben, dass der Affekt dazu beitragen könnte, dass sich irgendeine Einzelheit besonders deutlich dem Gedächtnis einprägt, so lehrt uns doch die alltägliche Praxis, dass der Mensch im Affektzustande in der hage ist, ganze Stadtviertek zu druchqueren, ohne Bekannte, denen er begegnet, zu bemerken oder den Weg und auf ihn zukommende Fahrzeuge wahrzunehmen.

Die Theorie von der vollkommenen Bewahrung der vom Menschen aufgespeicherten Eindrücke, (der Bewahrung im Unterbewussten,) wofür es in der der reichen parapsychologischen Literatur eine Reihe von Beispielen gibt, kann den praktischen Wert der von uns gemachten Beobachtungen nicht herabmindern.

Wenn eine an Hysterie Leidende während der lang danernden Behandlung durch Katarsis oder Psychoanalyse sich mit photographischer Genauigkeit an alle Einzelheiten von Begebnissen erinnert, die lange Jahre zurückliegen und unterdessen schon vergessen und ins Unterbewusste versenkt waren, oder wenn ein Somnambul mit absoluter Genauigkeit den in seiner Kindheit gelesenen Text wiedergeben kann, selbst wenn der Text in einer ihm fremden Sprache aufgesetzt und die Erinnerung an ihn aus seinem bewussten Gedächtnis und die von ihm bewahrten Eindrücke für die gerichtliche Medizin von Bedeutung sein.

Wie wichtig die Resultate dieses Tests für die Bewertung der Merkfähigkeit des bewussten Gedächtnisses sind, so einfach ist der Test selbst. Wir begnügen uns mit einigen Beispielen, deren Wiederholung jedem zugänglich ist.

I. Ein fünfzig Jahre alter Herr, Leiter eines Fiananzinstituts, befindet sich seit zwei Jahren in psychoanalytischer Behandlung. Er steht geistig auf hoher Stufe, wodurch er sich in seinem Amt besonders gervortut und das von ihm geleitete Institut zur Entfaltung bringt.

Ich habe diesen Patienten aus dem Grunde gewählt, weil er die besondere Fähigkeit besitzt, sich in Lebens- und Finanzfragen zu orien - tieren und auch deswegen, weil er unter allen anderen Patienten mein Sprechzimmer am häufigsten betreten hat (ca. 200 Mal).

1. Frage :
Welches ist die Farbe der Fliesen des Fussboden?
Richtig :
Eine ganz ausgeprägte Farbe: gelb-schwarz-ocker auf weissem Grund. Das Ocker überragt.
Antwort :
Ich erinnere mich nicht.
2. Frage :
Wieviele Lichter enthä die Hängelampe und aus welchem Material ist sie angefertigt?
Richtig :
Die Lampe ist verchromt (weisses Metall), hat 5 Birnen und hängt an eitner braunen Schnur.
Antwort :
Die Lampe ist aus Holz und hat 4 Birnen.
3. Frage :
Wieviel Fenster hat das Zimmer?
Richtig :
4. Drei davon befinden sich in einer halbrunden Nische, nit Zwischenräumen von etwa der Breite eines Fensters (ca. ½ Meter). An einer glatten Wand befindet sich das etwas breitere vierte Fenster.
4. Frage :
Wieviel Bücherreihen sind im Bücherschrank?
Richtig :
Drei.
Antwort :
Ich kann mich nicht darauf besinnen.
5. Frage :
Wie sehen die Türen aus?
Richtig :
Zwei Flügeltüren aus Holz mit eingesetzten Scheiben. In der einen Tür enthält? Reihen mit je 7 Scheiben, darüber, 8 weitere, also im Ganzen 22 Scheiben. Die Scheiben sind aus durchscheinendem Glas.
Antwort :
Die Türen sind aus Holz.
6. Frage :
Nur aus Holz?
Antwort :
Ach je, es ist auch Glas dabei.
7. Frage :
Ist das Glas farbig?
Antwort :
Ich kann mich nicht mehr darauf besinnen.
8. Frage :
Wieviel Scheiben sind vorhanden?
Antwort :
Zwei oder drei Reihem und in jeder Reihe zwei oder drei Scheiben. (Richtig: 9 in jeder Reihe).

Ich ersuche den Gefragten, sich die Türen und Fenster anzusechen, um sich von seinen fehlerhaften Aussagen zu überzeugen. Danach bette ich ihn, die Augen zu schliessen und frage ihn nach dem soeben gesehenen.

9. Frage
:

Wie sind die Fensterrahmen angestrichen?
Richtig :
Weiss,
Antwort :
Ich glaube, gelb.
10. Frage :
Wie sind die Türen angestrichen?
Richtig :
Braun.
Antwort :
Die Türen haben die Farbe der Fenster.

Nicht eine richtige Antwort, nicht einmal die Farbe der Türen ist richtig angegeben, trotzdem er sie soeben gesehn hat, und durch die er 400 Mal ein - bzw. ausgegangen ist.

II. Ähnlich verläuft der Test, der in demselben Sprechzimmer bei einen anderen Patienten wiederholt wird, der am Ende der Behandlung ist. Der Patient, ein Landvermesser, (ca. 30 Jahre alt,) müsste über ein besonders gut entwickeltes und genaues Beobachtungsvermögen verfügen.

1. Frage :
  Wieviel Fenster hat das Zimmer?
Richtig :
  Seihe oben.
Antwort :
  Drei.
2. Frage :
  Farbe der Fensterrahmen?
Antwort :
  Weiss. (Richtig).
3. Frage :
  Farbe der Türen?
Antwort :
  Weiss.
4. Frage :
  Woraus sind die Türen gemacht?
Antwort :
  Aus Holz.
5. Frage :
  Nur aus Holz?
Antwort :
  Auch aus Glas? (Dann bestimmt): Mit je einer Scheibe in jedem Türflügel. (S. oben Beschreibung der Tüner).
6. Frage :
  Wie sieht die Hängelampe aus?
Richtig :
  Wie oben beschrieben. 5 weisse, nach oben gerichtete kerzenförmige Birnen. (Ohne Lampenschirm).
Antwort :
  Vier Birnen in crêmefarbenen, nach unten gerichteten, oder nach oben?, Lampenschirmen. (Bestimmt): Die Lampenschirme sind crêmefarben.
7. Frage :
  Die Form der Fenster?
Richtig :
  Ganz gewönlich, in Form länglicher Vierecke. Die Scheiben sind durch drei querlaufende Rahmen geteilt.
Antwort :
  Die Fenster verrunden sich oben bogenförmig. Die Fensterrahmen und die Scheiben sind dementsprechend oben bogenförmig. Das ist bestimmt so. - Ich habe mir das Fenster genau angesehen. Die Scheiben sind nicht durch Querrahmen geteilt, sondern gehen in einem Stück nach oben bis zur Höhe des Bogenz.
8. Frage :
  Die Farbe des Fussbodens?
Antwort :
  Weiss ich nicht.
9. Frage :
  Die Zahl der Regale im Bücherschrank?
Antwort :
  Darüber habe ich keinen Eindruck behalten.

Die einzige richtige Antwort betrag die Farbe der Fensterrahmen. Solch überzeugte und phantastische Beschreiburg von nicht existie renden Bögen und crêmefarbenen Lampenschirmen, wie auch die groben Fehler bei der Beschreibung der Türen (weiss statt braun, 1 Scheibe statt 11 older 18), die von einem Menschen gemacht wurden, der diese Gegenstände mehrmals gesehen hatte und in seiner täglichen Arbeit gewohnt ist, seine Merkfähigkeit zu üben, veranlasst uns, - wenn dies keine Einzelerscheinung ist, - jede Zeugenaussagem die auf Grund von Seheindrücken gemacht wird, einer gründlichen Prüfung zu unterziehen.

Diese Erscheinung steht nicht vereinzelt da; für die gerichtliche Praxis sollte von besonderer Bedeutung sein, dass sogar gleiche Fehler und Fabulierungen von verschiedenen Personen gemacht werden. So behaupteten auch zwei Individuen, die demselben Experiment unterworfen wurden, tellerartige Lampenschirme und abgerundete Fenster gesehen zu haben. Um dem Vorwurf zu entgehen, dass die von mir gegebenen Beispiele von Personen handeln, die irgendwelche seelischen Komplexe haben, weshalb sie sich in die psychoanalytische Behandlung begeben mussten, - (obwohl die von mir gewählten Personen alle geistig entwickelte und im Leben gut vorwärts kommende Leute sind,) halte ich es für richtig, noch zwei Experimentbeispiele an Personen, die sich nicht in der psychotherapeutischen Behandlung befanden, hinzuzufügen:

III. Ein namhafter Rechtsanwalt, ca. 50 Jahre alt. Sein Büro hat er vor zwei Monaten bezogen.

Die Fragen über die Zahl der Fenster in seinem Sprechzimmer, über die Farbe der Wände und des Fussbodens, über die Form der Türklinken werden ungenau und teils falsch beantwortet. Er fabuliert von einem nicht existierenden Oberlichtfenster. Auf die Frage, ob der vor ihm sitzende Experimentator einen Schnurrbart hat, (er sieht ihn zum zweiten Mal,) antwortet er mit “ja” (falsch) und auf die Frage, ob der Experimentator Brillen trägt, mit “nein” (falsch).

IV. Ein Arzt, 38 Jahre alt, der sich auch literarisch und philosophisch betätigt, befindet sich seit drei Tagen im Hotelzimmer einer fremden Stadt. Er geht fast garnicht aus, hat keine Bücher und verbringt fast seine ganze Zeit, auf dem Sofa liegend. Durch besondere Umstände zum Nichtstun genötigt, müsste er auch folglich das Zimmer, in dem er sich befindet, genau ansehen.

Die ausführliche Angabe der Fragen und Antworten würde das Bild der vorangegangenen Beispiele ergeben. Z.B.: Das Zimmer ist mit Teppichen belegt. Auf die Frage, wieviel Teppiche im Zimmer sind, sagt er - keine.

Besonders merkwürding und zahlreich sind die Fehler in Bezung auf Farbangaben. Die Hausfrau, die jeden Morgen ihre Zimmer aufräumt, weiss weder die Farbe noch das Fussbodens anzugeben.

Umso befremdender sind die Aussagen, die z.B. manchmal von einem Zeugen mor Gericht gemacht werden, der behauptet, sich in der Dunkelgeit das verschwommene Muster des Anzugs eines Verbrechers beim Uberfall zu gaben.

Mit welcher Vorsicht man sich der Behauptungen und Zeugen - aussagen, die täglich und allörtlich vor Gericht gemacht werdenm bedienen muss, kann man erst dann ermessen, wenn man die Aussagen vergleicht, die einerseits über im Zustande der Gefahr und des Affekts, manchmal bei unzulänglicher Beleuchtung und in geringer Zeitspanne Erlebtes gemacht werden, und andererseits solche, die über Vorkommnisse berichten, die bei genügendem Licht und im Ruhezustande geschehen sind, und wo es sich um Gegenstände handelt, die man vorher schon häufig gesehen hat.

Die alte Erfahrung der Gesetzgeber, die die Forderung aufstellt, z w e i  Zeugen zu vernehmen, beruht nicht nur auf der Möglichkeit der Unehrlichkeit der Zeugen, sondern auch auf dem Verständnis der Tatsache, dass das visuelle Gedächtnis Irrtümern unterworfen sein kann, wobei vorausgesetzt wurde, dass bei zwei Zaugen gleichlautende Irrtümer ausgeschlossen seine.

User Test beweist aber, (vgl. Fall I u. II und das an II hinzugefügte,) dass sogar zwei verschiedene Personen sich gleichzeitig und auch identisch irren können.



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