PreviousMainNext


Verschiedene Intelligenzstufen in einer Person

Zum Problem der Abhängigkeit des Denkens
von den Ausdrucksformen.

Die hier vorliegenden Bertrachtungen sind nicht deswegen zum Druck bestimmt, weit sie Probleme lössen, sondern eher darum, weil sie wichtige Fragen und Probleme aufzeigen sollen.

Diese Betrachtungen beruhen einerseits auf bekannten Funden der Lehre über die lokalen Zentren im Gehirn und andererseits auf den Beobachtungen der Ausdrucksformen des Denkens beim Menschen.

1. Es ist höchstmerkwürdig, dass viele Menschen, deren Intelligenz und Jahre hindurch bekannt oder und durch mehrere Monate der psychoterapeutischen Behandlung scheinbar in allen Details vertraut geworgen ist, bei einer Schreibprobe ein unvergleichlich tieferes Niveau der Intelligenz als erwartet, zum Vorschein bringen. Der Mensch, der redegewandt, reich in Ausdruck und Inhalt, erfinderisch und talentiert ist, liefert beim Verlangen, eine Schreibprobe zu geben, (seine Briefe oder sonstige, schriftliche Aüsserungen zu zeigen) etwas nicht nur im Formniveau des Schreibens im Sinne der Graphologie, sondern, was uns hier allein interressiert, vom Standpunkt des gedanklichen Ingalts und besonders der Ausdrucksweise geradezu Bedauerliches. Schriftstücke, die dem täglichen Leben und solche, die bedeutenden Situationen des Schreibenden entstammen, zeigen denselben Tiefstand.

Das schlechte graphologische Bild sind wirbereit, auf die Charakter eigenschaften und auch auf die wenig ausgebildete, sogenannte “peripherische Intelligenz” zurückzuführen, (wenn auch z. B. bei Klavier - oder Violinvirtuosen dies letzte nicht so einfach anzunehmen ist.)1 Aber neben dem tiefen Formniveau sehen wir armselingen Inhalt und Ausdrucksweise. Wir konnten auch dauernd Fälle prüfen, wo ein graphologisch hochwertiges Formniveau mit einem Inhalt gepaart war, der in keinem Falle der sonstigen Intelligenzstufe des Menschen entsprach.

Umgekehrt treffen wir auch Menschen, die in ihrer Redeweise eine sehr bescheidene Intelligenz auffeisen, im Schraiben aber ihr reiches Gedankenmaterial gewandt zum Ausdruck bringen können.

Sprachintelligenz und Schreibintelligenz eines und desselben Individuum können auf ganz verschiedenem Niveau stehen.

Man ist sich im Klaren darüber, dass verschiedene Menschen verschieden Begabungen zeigen. Dazu rechnet man auch die Redner- und Schriftstellergabe, die doch nur die höheren Leistungen der Schreib- und Sprechfähigkeiten sind.

Will man konsequent sein, so muss man die Fähigkeit zum Schreib- oder Sprechausdruck so beurteilen, wie die Ausdrucksfähigkeiten im Zeichnen oder in Musik. Einer, der zur Musik oder zum Zeichnen unbegabt ist, wird deswegen noch nicht als unintelligent bewertet. Daraus wollen wir schliessen, dass in gleicher Weise z. B. auch das Schreibtalent das nur eine der Ausdrucksformen des seelischen Geschehens ist, allein für sich nicht die Intelligenz eines Menschen bewerten lässt.

2. Wie ist es zu verstehen, dass die Psyche, die einen Wortausdruck sucht, ihn beim Aussprechen findet, beim Niederschreiben aber gelähmt wird?2 Wir wussten, dass es auch die Intelligenz von der Ausdrucksform ist.

So kommt es, dass die Psyche eines Individuum, richtiger, sein angenommenes zentrales Ich, nicht autokratisch über die verschiedenen Gehirnzentren regiert, sondern sich in dem feudalen System der verschiedenen lokalen Zentren sehr abhängig fühlt!

Denmach kann ein Mensch ein reiches Innenleben haben, ohne die Fähigkeit, es zu irgendwelchem Ausdruck, sei es Sprechen, Aufschreiben, Aufzeichen, bringen zu können.


Ein Analphabet hat auch ein Schreibzentrum. Auch vor der Entdeckung der Schreibkunst befand sich im Menschengehirn ein Schreibzentrum; ein Neger, dessen Eltern und Ahnen nie gelesen oder geschrieben haben, dann doch lesen und schreiben lernen. So ist es nicht grade und nur die erbliche Ausbildung eines Zentrum; - bei Tieren ist das Schreiben und Lesen sogar nach langer Dressur nicht möglich.

Und so, wie das Lesezentrum existieren kann, ohne dass es zur Benutzung kommt, existieren im menschlichen Gehirn Fähigkeitsmöglichkeiten, die wir noch nicht kennen, die aber für gewisse Zwecke vorbestimmt sind. Das würde gleichzeitig bedeuten, dass diese Fähigkeiten gezählt sind, wenn auch nicht alle in Anspruch genommen, und dass ihre Zahl nicht überschritten werden kann.

Dies aber nur unter der Voraussetzung, dass die Zentren im Sinne des Wechsels der Funktion unveränderlich sind. Besteht wirlich diese Vorbedingung? Wie breit sind die Funktionsvarianten eines Zentrums angelegt?

Verkümmert die Rinde eines Lokalzentrums, wenn die ihm entsprechende Fähigkeit nicht ausgebildet wird? und inwieweit? Kann ein Zentrum auf Kosten eines zweiten verkümmerten sich ausbreiten? Kaum ist heute eine auch nur annähernd präzise Antwort möglich.

Entweder bildete die philogenetische Entwicklung die Lokalzentren aus, - (wieso kann aber ein Neger lesen lernen, wenn seine Ahnem es nie konnten? Wodurch entstand die philogenetische Entwicklung?) - oder die Zentren in der Gehirnrinde sind in bestimmter Zahl und für bestimmt. Aufgaben prädisponert, - (dies würde gegen die Theorie der Entwicklung der Arten sprechen), oder bei jedem Menschen sind schon vor Geburt - durch philogenetische Entwicklung entstanden - mehrere nicht differenzierte Zentren vorhanden, und die Lebensbeingungen bilden einige davon aus; (wieso befinden sich bei verschiedenen Menschen deiselben Lokalzentren an derselben anatomischen Stelle?) das letzte würde auch eine Transformationsfähigkeit der Lokalzentren bedeuten.

Dies wäre eine sehr gewagte Annahme, besonders in Anbetracht der grossen Unabhängigkeit der Lokalzentren von dem zentralen Ego des Individuums, die wir im ersten Abschnitt dieser problemaufzeigenden Arbeit—über verschiedene Intelligenzstufen im Sprechen und Schreiben gezeigt haben.


References

  1. Unter den geprüften und gesammelten Schreibproben befinden sich auch einige von der Hand bekannter Klavier- und Violinvirtuozen.

  2. Die Möglichkeit von Fällen organisch-pathologischer Zustände oder psychogener Störungen lassen wir nicht aus dem Auge.

 


PreviousMainNext